Wohnzimmer im Wandel
Das moderne Wohnzimmer hat sich in vielerlei Hinsicht gewandelt. „In modernen Neubauten gibt es kaum noch Wände. Da verschmelzen Küche, Esszimmer und Wohnraum zu einem einzigen Raum“, sagt Ursula Geismann, Trendanalystin und Designexpertin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. Wo Wände fehlen, werden die Bereiche mit anderen Mitteln definiert – mit Möbeln und Teppichen.
Auch die Nutzung des Wohnzimmers hat sich verändert. „Es ist nicht mehr der Entertainment-Raum, in dem der Fernseher den zentralen Blickpunkt darstellt. Dieser wird abgelöst von Tablet und Smartphone“, sagt Geismann. Fernsehen hat als gemeinsame Freizeitgestaltung an Bedeutung verloren, die Blickachse konzentriert sich nicht mehr auf die TV-Geräte. Im modernen Wohnzimmer lässt man Bildschirme verschwinden: „Sie verstecken sich zwischen Regalmodulen“, beobachtet Geismann.
Besuch wird heute nicht mehr auf das Sofa gebeten, sondern an den großen Esstisch. Die ausufernden Sofalandschaften verschwinden folglich, Esstische werden größer und flexibler. Sie lassen sich leicht in Größe und Höhe verändern, um sie der jeweiligen Nutzung anzupassen. Das Sofa wiederum ist der private Rückzugsraum.
Angesagte Stile und Trends
Der Blick ins moderne Wohnzimmer erscheint oft wie ein Blick in vergangene Zeiten: Das sogenannte Mid-Century-Design mit filigranen Polstermöbeln auf Beinen und zarten Vitrinen ist derzeit sehr beliebt. Das passt auch gut zur Urbanisierung und den üblicherweise geringeren Raumgrößen. Kleinere Sitzmöbel passen besser in eine kleine Großstadtwohnung als ausufernde Sitzlandschaften. Angesagt sind zudem klare Linien und kubistische Formen. Modulartige Schrank – und Regalsysteme versprechen eine hohe Flexibilität und individuelle Kompositionen.
Skandinavisches Wohnen mit hellen Möbeln und Hölzern hat sich als Einrichtungsstil etabliert. Auch das Thema Neoökologie ist weiter groß – das Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein der Konsumenten steigt, sie fordern und unterstützen Nachhaltigkeit seitens der Hersteller. Natürliche Materialien steigern bezüglich der Wohnungseinrichtung weiter ihre Beliebtheit. Holz ist immer noch der klare Favorit, doch Terrakotta und andere Naturmaterialien sind ebenfalls angesagt.
Der Trend Urban Jungle – also sozusagen den Dschungel in die Wohnung und nahe Umgebung zu holen – ist ein wichtiger Ideengeber. Der Übergang von Balkon und Terrasse zum Wohnraum wird heutzutage fließend gestaltet. Das geschieht einerseits mit Pflanzen, Kräutern und Vertikalbeeten, andererseits aber auch mit dem passenden Design, beispielsweise durch starke Blumen- und Blattmuster auf Tapeten, Teppichen und Textilien.
Haptik ergänzt Optik
Stilübergreifend lässt sich feststellen, dass moderne Oberflächen erlebbbar sein sollen. Maserungen und eine anregende Haptik sind absolut gewollt und Teil des derzeitigen Trends. Außerdem gewinnen Textilien an Bedeutung und sind ein wichtiger Teil der individuellen Dekoration. Vorhänge, Gardinen und selbstgestrickte Kissenbezüge sind in und tragen zur Gemütlichkeit bei – einem großen Bedürfnis unserer Zeit und gleichzeitig wichtigen Einrichtungsthema.
Bei den aktuellen Trendfarben ist für jeden Geschmack etwas dabei. Helle Farben sind zeitlos und passen in jedes Wohnzimmer, neu hingegen ist die Verwendung starker Farben. Dunkles Grün, knalliges Rot in Kombination mit Pink und dunkle Blautöne sind aktuell sehr beliebt. Und der Trend geht zu immer dunkleren Tönen: „Schwarz ist im Wohnzimmer extrem stark geworden, sowohl als Möbel- als auch als Wandfarbe. Auch dunkles Greige, also Grau-Beige-Töne, sind angesagt“, sagt Wohnexpertin Katharina Semling. Ihr Tipp: „Schwarz- und Grau-Töne lassen sich sehr gut mit Puder-Tönen kombinieren.“
Für alle, die Schwarz zwar schön finden, aber fürchten, dass das Wohnzimmer zu dunkel wird, gibt es eine elegante Lösung: „Man kann dunkle Möbel und dunkle Wände mit hellen Textilien und Polsterstoffen kombinieren, um Helligkeit in den Raum zu bringen“, so Semling. Prinzipiell sei es eine gute Idee, sich an neue Farbwelten vorsichtig heranzutasten. „Dann streicht man erst mal nur eine Wand und wählt die Möbel in Schwarz oder einem dunklen Flieder-Ton. Oder man kombiniert eine schwarze mit drei grauen Wänden.“ Hat man sich nach einiger Zeit daran gewöhnt, lässt sich leichter eine Entscheidung treffen.
Wertigkeit und Individualisierung
Als Einrichtungssünde gilt derzeit, auf billige oder billig wirkende Stücke zu setzen. Wertigkeit steht hoch im Kurs. Alt hingegen darf es durchaus aussehen, auch Stilbrüche sind gern gesehen. Semling rät dazu, auch mal auf dem Sperrmüll nach alten Stücken zu schauen und sie entgegen der Funktion einzusetzen – edle Klinken als Kleiderhaken, alte Schubladen als Katzenkorb. Das lockert den Gesamteindruck eines Raumes auf.
„Im Trend liegt es, etwas ganz Eigenes oder Selbstgemachtes im Wohnzimmer zu nutzen“, sagt Semling. Das können persönliche Bilder sein, ein selbst gestrickter Pouf oder ein von der Oma besticktes Kissen. Wer nicht der Do-it-yourself-Typ ist, wird auf Flohmärkten fündig. Individualität ist gefragt. „Es darf nicht aussehen wie aus dem Möbelhaus“, sagt Semling. Kombinieren – auch über Stilgrenzen hinweg – ist ausdrücklich erlaubt. Damit es nicht durcheinander gewürfelt wirkt, ist Semling zufolge ein gemeinsamer Nenner oder ein Oberthema nötig.
Den eigenen Stil finden
Wie findet man eigentlich seinen eigenen Stil? Zunächst, indem man sich umsieht, etwa bei Freunden und generell in anderen Wohnungen. Die gesammelten Eindrücke sollte man jedoch mit Vorsicht genießen: „Manchmal gefällt einem eine Wohnung, einfach weil sie sehr stimmig eingerichtet ist, man selbst würde sich mit einem solchen Wohnstil längerfristig in den eigenen Räumen aber nicht wohlfühlen“, sagt Trend- und Einrichtungsexpertin Gabriela Kaiser. Wichtig sei es daher, zunächst seine Grundbedürfnisse herauszufiltern.
Drei verschiedene Einrichtungstypen beobachtet Kaiser: „Der Purist mag coole Farben, geradlinige Formen, mag es ein bisschen kantig und benötigt wenige Dinge, aber viel Platz. Er fühlt sich in einem coolen, modernen Ambiente wohl.“ Anderen Typen wäre das zu clean. „Manche Menschen bevorzugen eine natürliche und warme Einrichtung. Sie brauchen viel Holz, viele Pflanzen, zu ihnen passt Terrakotta sehr gut.“ Der dritte Typ mag es total dekorativ. „Da muss ganz viel passieren, viel herumstehen. Sie brauchen opulente Formen und viele Farben.“ Zudem gebe es viele Mischtypen, bei denen ein Stil oft etwas stärker ausgeprägt ist, so Kaiser. Die wichtigste Frage, die man sich vor dem Einrichten stellen solle: Wie kühl oder warm brauche ich es? Wie viel Raum oder Geschlossenheit benötige ich, um mich wohlzufühlen?
Mood Board: Hilfe bei der Einrichtung und Dekoration
Bei der Frage nach der passenden Einrichtung und Dekoration kann ein sogenanntes Mood Board helfen. Dafür schaut man einen Stapel Zeitschriften und Einrichtungskataloge durch und reißt alles raus, was einem gefällt und – vor allem emotional – anspricht: Möbel, Kleidung, Dekorationsartikel. „Auch Autos können dabei sein“, sagt Semling. Die so entstehende Collage vermittelt einen guten Eindruck des persönlichen Stils. „Was für Farben und Materialien sehe ich da? So kommt man dem eigenen Geschmack und Bedürfnis sehr nahe“, sagt Kaiser. Semling gibt ein Beispiel: „Wessen Mood Board nur Schwarz-Weiß zeigt, sollte seine Wohnung wirklich nicht allzu bunt einrichten.“
Tipps für große Räume
„Bei großen Räumen ist es wichtig, Struktur hineinzubringen“, sagt Kaiser. Dafür ist besonders der Boden wichtig. Wo sich ein Holzboden über die gesamte Fläche zieht, schaffen Teppiche abgegrenzte Areale. „Ein frei im Raum stehender Esstisch wirkt wie abgestellt. Ein Teppich unter dem Tisch gibt dem Ensemble Halt“, erklärt Kaiser.
Auch Möbel helfen dabei, Abgrenzungen zu ziehen. Raumteiler erleben derzeit eine kleine Renaissance. Moderne Grundrisse lassen sich nicht mehr mit alten Stellgewohnheiten vereinbaren. Sofas stehen heute nicht mehr nur an der Wand, sondern machen sich sehr gut mitten im Raum. Ein Teppich davor gibt Halt. Auch Licht kann bestimmte Areale vorgeben. Klassischerweise betont der Lichtkreis einer Lampe über dem Esstisch den Bereich und grenzt ihn optisch ab.
Tipps für kleine Räume
Kleine Räume sind eine Herausforderung, schließlich muss ein Wohnzimmer allerlei Funktionen erfüllen und soll gleichzeitig nicht vollgestopft wirken. Daher rät Semling auch im kleinen Wohnzimmer zu Inseln. „Alles liegt dort, wo es hingehört. Alles, was zu den Medien gehört, beim Fernseher. Kissen und Decken auf oder neben dem Sofa“, sagt Semling. Ordnung sei in kleinen Räumen besonders wichtig. „Das muss überhaupt nicht minimalistisch und leer sein oder unkreativ wirken. Es erleichtert dem Auge lediglich, sich zurechtzufinden.“
Einen großen Anteil an der Wirkung eines Raumes hat auch die Möbelwahl. „In kleinen Räumen ist es wichtig, Möbel zu wählen, die kein zu großes Volumen haben und zu viel Raum einnehmen. Eine Couch, die auf Füßen steht, wirkt luftiger als ein Sofa, das bis zum Boden reicht“, erklärt Kaiser. Auch Vitrinen, Schränke und Regale wirken leichter, wenn sie auf dünnen Beinen stehen. Sideboards lassen mehr Luft zum Atmen als hohe Schränke. Transparente Materialien wie Acryl wirken luftig. Alles, was nicht schön, aber notwendig ist, sollte verschwinden. Der Kabelsalat etwa wird mit unauffälligen Boxen unsichtbar.
Textilien: Wichtig für die Raumatmosphäre
„Textilien sind wichtig, um die Atmosphäre eines Raumes zu gestalten“, sagt Geismann. Zudem sind sie schnell ausgetauscht und eigenen sich daher sehr gut für kleine Experimente, wenn man den Wohnstil verändern möchte. Auch für die saisonale Gestaltung sind Textilien perfekt: Während der Weihnachtszeit darf es gemütlich zugehen, im Frühling frisch und floral. Manchmal reicht es schon, Kissenbezüge zu tauschen.
Beleuchtung wird oft unterschätzt
Immer wieder unterschätzt für die Wirkung eines Zimmers wird die Beleuchtung. Das passende Licht eignet sich, um Inseln zu schaffen, die Atmosphäre eines Raumes zu ändern und die Stimmung zu beeinflussen. „Deckenleuchten tragen nicht zur Entspannung bei“, sagt Geismann. Im besten Fall lässt sich das Licht verändern, passend zur Tageszeit und Gemütslage.
Eine gute Planung der Beleuchtung ist sinnvoll. Statt zur ersten Deckenleuchte zu greifen, sollte man sich klar darüber sein, welche Bereiche im Wohnzimmer wie betont werden sollen. „Eine gemütliche Stehlampe mit angenehmer Lichttemperatur für die Leseecke, für die Decke etwas Grundbeleuchtung und eine Leuchte über dem Esstisch. Mindestens drei Lichtquellen auf unterschiedlichen Ebenen sollten es schon sein“, sagt Geismann. Die Expertin empfiehlt jedoch weitere Lichtquellen. LED-Leuchtbänder etwa können einzelne Möbel betonen und eine einfache Tischlampe auf dem Boden sorgt für eine angenehme Stimmung.